Abstrakte Verweisung ist die Möglichkeit des Berufsunfähigkeitsversicherers im Leistungsfall auf einen Beruf zu verweisen, den der Kunde noch zu mehr als 50% ausüben könnte.
Ich denke mal, dass ich abstrakte Verweisung damit nicht unbedingt ausreichend erklärt habe, weshalb ich mal ein bisschen aushole.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung leistet dann, wenn ich meinen Beruf, so wie ich ihn ausgestaltet habe, nicht mehr zu mehr als der Hälfte ausüben kann. Wenn ich also als Bäcker nicht mehr als die Hälfte arbeiten kann, gibt es die BU-Rente von der Versicherung.
Mal angenommen, ich hab eine Ausbildung zum Bürokaufmann und könnte das auch machen, dann darf der Versicherer die Rente verweigern, weil ich ja arbeiten könnte. Das ist abstrakte Verweisung.
Abstrakte Verweisung ist aber nicht willkürlich. Da kursieren viele Horror-Geschichten.
Was darf der Versicherer?
Aber tatsächlich muss der neue Beruf, auf den ich abstrakt verwiesen werden soll, ein paar Anforderungen erfüllen.
- Ich muss gesundheitlich in der Lage sein, den neuen Beruf zu mehr als der Hälfte ausüben zu können.
- Es muss mir mit dem neuen Beruf möglich sein, meinen Lebensstandard zu halten.
- Ich darf nicht an Ansehen verlieren.
- Und der neue Beruf darf mich weder über- noch unterfordern.
Ein oft genutztes Beispiel in den Horror-Geschichten ist der Pförtner. Es wird unterstellt, dass abstrakte Verweisung immer möglich wäre, solange du noch den ganzen Tag sitzen kannst und einen Monitor beobachtest.
Gesundheitlich dürfte das möglich sein und wenn du als Pförtner gut verdienst, dann ist Punkt 2 auch möglich. Wie angesehen ein Pförtner im Vergleich zu anderen Berufen ist, mag ich nicht beurteilen. Aber in den allermeisten Fällen dürfte dich der Beruf im Vergleich zum alten Beruf unterfordern.
Außerdem liegt hier die Beweislast beim Versicherer. Während ich im Leistungsfall beweisen muss, dass ich in meinem Beruf berufsunfähig bin, muss die Versicherung jetzt beweisen, dass eine abstrakte Verweisung möglich ist. Sie kann also nicht einfach behaupten, dass es da draußen irgendwas gäbe. Sie muss schon genau erklären, was warum möglich wäre. Und wenn ich keine weitere Ausbildung habe, ist da nicht viel möglich.
Ein Landschaftsgärtner kann nicht auf einen Professor für Botanik verwiesen werden. Dazu ist eben das Aufgabengebiet zu unterschiedlich, wenngleich beide viel über Pflanzen wissen.
Warum ist abstrakte Verweisung nicht nur schlecht?
Im Allgemeinen stellen meine Kollegen die abstrakte Verweisung als böse dar. Und das auch mit großem Erfolg. Es gibt heute keinen einzigen Standard-Tarif mehr, der nicht auf die abstrakte Verweisung verzichtet. Nur noch ein paar Tarife, die zusätzlich zu den Premium- und Standard-Tarifen als günstigere Alternative angeboten werden.
Und da ist auch schon die Antwort auf die Frage drin: Mit abstrakter Verweisung kann die BU-Versicherung günstiger kalkulieren. Und dadurch wird der Tarif günstiger.
Denn wenn die Berufsunfähigkeitsversicherung auf die abstrakte Verweisung verzichtet, kann der Kunde der Versicherung auch auf der Nase herumtanzen. Denn eine konkrete Verweisung ist nur möglich, wenn die oben genannten 4 Punkte tatsächlich auch erfüllt sind und dieser neue Beruf auch ausgeübt wird. Wenn ich aber nicht will, dann kann der Versicherer nichts tun, außer die Rente weiter zu zahlen.
Und das geht so weit, dass ich im neuen Job einfach nur halbtags arbeite, damit ich weniger als im alten verdiene. Denn so kann mich die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht verweisen und muss weiter zahlen. Obwohl ich eigentlich auch wieder mehr arbeiten könnte.
Und warum ist sie dann doch nicht so gut?
Aber wenn ich es mir leisten kann, dann sollte ich selbstverständlich einen Tarif mit Verzicht auf abstrakte Verweisung wählen. Denn, wie es das Wort “abstrakt” schon sagt: Es ist nicht eindeutig und kann zu einem Streitfall werden.
Trotzdem wäre es für viele Handwerker doch besser eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit abstrakter Verweisung zu haben, als überhaupt keine Versicherung, weil diese einfach zu teuer ist.