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Dienstobliegenheits-Erklärung – Alles save oder eher nicht?

Dienstobliegenheits-Erklärung

Wenn ich, Philip Wenzel, Fragen zu Gesetzen oder Rechtsprechung habe, frage ich Björn Jöhnke 🙂 Hier meine Frage zur Dienstobliegenheits-Erklärung, die oft als Wundermittel gegen die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung gesehen wird.

Gar nicht lange her gab es ein Urteil, dass ich mir in den Grundzügen gemerkt habe. Eine Witwe hat nach 9 Jahren und 9 Monaten für ihren verstorbenen Mann Berufsunfähigkeit beantragt. Die Krankheit, wegen der er BU war und auf gestorben ist, hatte er schon bei Vertragsschluss. Somit wäre der Vertrag eigentlich nie zustande gekommen. Der Versicherer hat aber erst nach 4 Monaten abgelehnt. So war die 10-Jahres-Frist überschritten und der Versicherer musste leisten. Nach 10 Jahren herrscht in Deutschland Rechtsfrieden. Warum die Versicherer dann nicht nach §123 BGB weiter vorgehen, weiß ich nicht.

Ist eine Dienstobliegenheits-Erklärung die perfekte Lösung?

Was ich hier aber so spannend fand: Wenn ich eine Berufsunfähigkeit mit in den Vertrag einbringe, sind die Gesundheitsfragen egal. Dann kommt kein Vertrag zustande.

Das hieße dann ja auch, dass mich eine Dienstobliegenheits-Erklärung (DOE), bei der ich nur angeben muss, ob ich die letzten 2 Jahre nicht länger als 14 Tage krankgeschrieben war, nicht davor bewahrt, dass der Versicherer im Leistungsfall nicht leistet. Das ergibt sich aus der Bundestags-Drucksache 16/3945, in der steht, dass bei Arglist auch anzugeben sei, wonach der Versicherer nur mündlich bzw. überhaupt nicht fragt. Das ist ein bisschen witzig, weil der arglistig Handelnde halt so oder so nix angibt. Darum geht es ja bei Arglist.

Ich finde das grundsätzlich in Ordnung, weil Versicherungsbetrug halt nicht in Ordnung ist. Aber eine Dienstobliegenheits-Erklärung vermittelt dem Kunden ja gerade schon, dass es eben auf nix anderes ankommt als die Fragen im Antrag.

Ich will das Fass der spontanen Anzeigepflicht nicht mal aufmachen, weil das hiermit ja nix zu tun hat. Aber was mich schon interessieren würde: Wenn ich als Vermittler mit einer Dienstobliegenheits-Erklärung arbeite, muss ich dann über die eingebrachte BU aufklären? Oder könnte ich im Zweifel darauf bauen, dass der Versicherer das hätte irgendwie klar machen müssen?

Ab hier übernimmt der Anwalt Björn Jöhnke

Auch hier hast du, Philip, wieder einen interessanten Themenkreis angesprochen, der ja nicht nur die Vermittlerschaft interessiert, sondern halt auch – bekanntermaßen – die Gerichte beschäftigt. In der Konsequenz muss man natürlich das Problem der spontanen Anzeigeobliegenheit – zumindest ansatzweise – anreißen, um gegebenenfalls überhaupt auch nur teilweise Antworten auf deine Fragen geben können. Denn letztendlich sind ja noch gar nicht alle Fragen rechtlich durch die Gerichte beantworten worden.

Einige Antworten kann man jedoch geben, da diese obergerichtlich sowie höchstrichterlich entschieden worden sind. Beginnen wir mal mit der Grundfrage: Eine Anfechtung des Versicherungsvertrages wäre sogar grundsätzlich noch möglich, wenn zehn Jahre verstrichen sind. Nämlich dann, wenn der Versicherungsfall schon vorher – also vor Vertragsschluss – eingetreten ist (vgl. BGH v. 25.11.2015 – IV ZR 277/14). Das erscheint auch logisch und richtig.

Aber: Der Versicherer muss jedoch beweisen, dass die Berufsunfähigkeit bereits vor Vertragsschluss vorlag. Dieses dürfte nach mindestens 10 Jahren Vertragslauf schon schwierig werden. Im Übrigen gehen die Versicherer nach §123 BGB vor, genauer: §§ 123 BGB; §§ 21 Abs. 3, 22 VVG. Die Anfechtung ist jedoch ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind, § 124 Abs. 3 BGB.

Ist nach 10 Jahren alles gut?

In der Folge hatte der BGH ja die Frage beantworten müssen, ob die in § 21 Abs. 3 VVG getroffene Fristenregelung für die Wahrnehmung der Rechte des Versicherers aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG auf die für die Arglistanfechtung geltende Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB und die Rechtsfolgen ihrer Versäumnis Einfluss haben, oder nicht. Dieses war lange Zeit juristisch umstritten. Der BGH beendete mit seiner Entscheidung diesen Streit und folgte der herrschenden Meinung, welche § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG auf die Arglistanfechtung nicht anwendet.

Dabei beruft der BGH sich auf den Gesetzeswortlaut in § 21 Abs. 3 Satz 1 VVG, wonach nur die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 – 4 VVG angesprochen seien, während sich § 22 VVG mit dem Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, auseinandersetze.

Damit ist ein Versicherungsvertrag in der Konsequenz nur noch dann nach Ablauf der 10 Jahre anfechtbar, wenn der Versicherungsfall vor Vertragsschluss eingetreten ist. Die Rechtsgrundlage für die Versicherung wäre dann jedoch § 853 BGB (Arglisteinrede): Erlangt jemand durch eine von ihm begangene unerlaubte Handlung eine Forderung gegen den Verletzten, so kann der Verletzte die Erfüllung auch dann verweigern, wenn der Anspruch auf Aufhebung der Forderung verjährt ist. Auch diese ganzen Aspekte hat der Versicherer jedoch zu beweisen, was im Einzelfall sehr schwierig sein wird.

Spontane Anzeigepflicht bei Dienstobliegenheits-Erklärung?

Um eine weitere Frage zu beantworten: Ja, es gibt auch die spontane Anzeigeobliegenheit noch (siehe BGH v. 19.05.2011 – IV ZR 254/10). Das OLG Karlsruhe hatte sich zweitinstanzlich beispielsweise mit Urteil vom 20.4.2018, Az. 12 U 156/16, mit dem Thema der „spontanen Anzeigeobliegenheit“ beim Antrag auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu beschäftigen. Erstinstanzlich hatte sich das LG Heidelberg mit Urteil vom 08.11.2016, Az. 2 O 90/16, zu dieser Thematik positionieren müssen.

Der beklagte Versicherer warf dem Versicherungsnehmer arglistige Täuschung vor, denn ihm war bei Vertragsschluss die Krankheit „MS – Multiple Sklerose“ bereits bekannt. Im Versicherungsantrag fanden sich jedoch keine diesbezüglichen Gesundheitsfragen des Versicherers. Vielmehr gab es eine vorgedruckte Erklärung, deren Richtigkeit der Kläger durch Ankreuzen bestätigte:

„Ich erkläre, dass bei mir bis zum heutigen Tage weder ein Tumorleiden (Krebs), eine HIV-Infektion (positiver AIDS-Test), noch eine psychische Erkrankung oder ein Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) diagnostiziert oder behandelt wurden. Ich bin nicht pflegebedürftig. Ich bin fähig, in vollem Umfange meiner Berufstätigkeit nachzugehen.

Nachdem der Versicherungsnehmer den Leistungsantrag gestellt hatte, erklärte der Versicherer die Anfechtung des Versicherungsvertrages und trat indes von diesem zurück. Der Versicherungsnehmer habe unzutreffende Gesundheitsangaben gemacht und gefahrerhebliche Umstände vorsätzlich verschwiegen, nämlich dass er – bekanntermaßen – MS habe.

Das OLG Karlsruhe bestätige zunächst, dass es die spontane Anzeigeobliegenheit noch gibt (vgl. BGH a.a.O.). Das OLG verneinte eine spontane Anzeigeobliegenheit jedoch bei Versicherungsanträgen mit „verkürzten Gesundheitsfragen“, worunter auch die Dienstobliegenheits-Erklärung fallen dürfte. Denn vorliegend sei § 19 Abs. 1 VVG  nicht einschlägig, weil die beklagte Versicherung dem Kläger in Form der vorformulierten Erklärung unstreitig nur spezifische Fragen zu seinem Gesundheitszustand gestellt hat, die seine bestehende Erkrankung überhaupt nicht erfassten (siehe oben).

Was will der Versicherer dem Antrag nach wissen?

Ferner war der Kläger nicht verpflichtet, die Beklagte von sich aus auf die bei ihm diagnostizierte multiple Sklerose hinzuweisen. Zwar ist juristisch sehr umstritten, ob nach der VVG-Reform auch ohne entsprechende Frage des Versicherers auf gefahrerhebliche Umstände hinzuweisen sei. Jedoch sei hier nach allen vertretenen Rechtsauffassungen eine Anzeigepflicht des Klägers hinsichtlich seiner Erkrankung zu verneinen. Denn selbst vor der VVG-Reform hätte vorliegend eine Anzeigepflicht nicht bestanden. Der Versicherer habe mit den in seinen Antragsformularen gestellten Fragen an den Antragsteller zu erkennen gegeben, was er für seine Entscheidung als wesentlich ansieht.

Scheut sich ein Versicherer aus geschäftstaktischen Gründen, eine Frage zu stellen, deren wahrheitsgemäße Beantwortung nach seiner Darstellung maßgeblich für seine Entscheidung war, ob er den angetragenen Vertrag überhaupt schließt, so liefere der Versicherer selbst den Beweis dafür, dass er die unaufgeforderte Offenbarung des betreffenden Sachverhalts nicht erwarten konnte und durfte. Hieran habe sich durch die Einführung des neuen § 19 VVG, der die berechtigten Interessen des Versicherungsnehmers besser schützen soll als der frühere § 16 VVG, nichts geändert.

Keine spontane Anzeigepflicht bei der Dienstobliegenheits-Erklärung

Im Ergebnis dürfte diese Einschätzung des OLG Karlsruhe auch nach Auffassung der Kanzlei Jöhnke & Reichow für die Dienstobliegenheits-Erklärungen gelten, denn diese sind ähnlich konzipiert. Es gilt also bei verkürzten Antragsfragen: Der Versicherer muss in Textform konkret fragen, wenn er eine Antwort dazu erwartet. Natürlich sollten Vermittler und Versicherungsnehmer stets wahrheitsgemäße Angaben machen, das ist klar!

Konkrete Angaben kann man jedoch nur machen, wenn man auch nach „etwas“ gefragt wird. Wird nicht nach einer bestimmten Krankheit gefragt, so muss auch keine spontane Anzeige erfolgen. Weder durch den Vermittler, noch durch den Versicherungsnehmer.

Noch kein BGH-Urteil zur Dienstobliegenheits-Erklärung

Zu beachten ist jedoch zwingend: Zur spontanen Anzeigeobliegenheit bei verkürzten Gesundheitsfragen wie der Dienstobliegenheits-Erklärung gibt es noch keine höchstrichterliche Entscheidung, sondern nur obergerichtliche. Damit sind eben auch keine Instanzgerichte an eine bestimmte Entscheidung gebunden und können im Einzelfall auch anders entscheiden. Bei nicht-verkürzten Gesundheitsfragen gibt es sehr wohl noch die spontane Anzeigeobliegenheit, was diverse Obergerichte auch bestätigen, jedoch im konkreten Einzelfall selbige ablehnen und die Versicherungen zu Leistungen verurteilen.

Dieses liegt jedoch immer am Einzelfall, also an der Krankheit sowie internen Ablehnungsgründen der Versicherungen. Wenn Versicherungen bei bestimmten Krankheiten bereits interne Ablehnungsgründe haben, dann müssen Versicherungen auch im Versicherungsantrag danach fragen, so jedenfalls die Obergerichte.

Die diesbezügliche Diskussion bleibt also absolut spannend. Aktuell hat die Kanzlei Jöhnke & Reichow zwei Versicherungsfälle gegen Krankenversicherungen vorliegen, welche den Versicherungsvertrag – Pflegetagegeldversicherung – angefochten und eine spontane Anzeigeobliegenheit angenommen haben. Diese Rechtstreitigkeiten gehen nun in die Instanzen.

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